Montag, 9. Mai 2011

Düsseldorf-Marathon 2011: Die Hitzeschlacht





Nordrhein-Westfalen war am Sonntag mit Temperaturen um die 30 Grad die heißeste Region Europas, so war es bereits gestern Abend im Videotext nachzulesen. Ich kann jedenfalls bestätigen, dass es sehr warm war. Das Wetter nimmt halt keine Rücksicht darauf, dass ein Marathon terminiert ist. Schon am Bahnhof in Recklinghausen trafen die ersten Läufer zusammen, die sich auf den Weg nach Düsseldorf machen wollten. Und so lernte ich eine Reihe von Marathonis mit unterschiedlichen Erwartungen kennen. Ein besonders ambitionierter Läufer hatte in diesem Jahr 16 Läufe zwischen 30 und 35 Kilometer absolviert. Er wollte mit 3:15 eine neue Bestzeit laufen. Dazu hatte er auf einem Zettel Zwischenzeiten und Pulsangaben ausgedruckt, in Folie geschweißt, und befestigte das Werk an seinem Arm. Wie bescheiden war da meine eigene Vorbereitung gewesen, mit gerade mal zwei Läufen von 30 Km. Mir war schon klar, dass ich damit am unteren Limit des noch eben Vertretbaren war. Und so war die Erwartung begrenzt: das Ziel erreichen. Bei den vorhergesagten Temperaturen sollte das auch kein leichtes Unterfangen sein. Doch zunächst war es noch sehr angenehm frisch und dazu recht windig. Trotzdem suchte ich im Startbereich den Schatten, denn die Sonne verkündete schon mal, dass sie kein Erbarmen haben würde.

Das lange Feld setzte sich in Bewegung. Wieviele Marathonläufer sich angemeldet hatten und wieviele an den Start gingen, hatte der Veranstalter im Dunkeln gelassen. Laufen durch die Landeshauptstadt Düsseldorf, die ich nicht gerade gut kenne: Landtag (der nicht an der Strecke liegt), die Königallee, der Flughafen und der Rhein, dass sind meine begrenzten Kenntnisse von Düsseldorf. Am Beginn eines 42 Km langen Weges erstmal ein Abschecken des körperlichen und geistigen Befindens. Die innere Stimme, die in Erinnerung ruft langsam zu laufen bei den zu erwartenden Temperaturen, um nicht frühzeitig schon einzubrechen. Nach 17 Minuten ein sportliches Highlight. Die Spitzengruppe preschte uns nach einer gelaufenen Schleife in einer Kurve entgegen. Eine Kette aneinander gereihter dunkelhäutiger Läufer, ein Weißer dazwischen. Was hatten die für ein irrsinniges Tempo drauf. "Was mache ich hier?" Annimiert von einem Tshirtaufdruck vor mir, stellte ich mir diese Frage durchaus auch. Auf der Rheinterasse hätte man jetzt gemütlich eine Tasse Kaffee trinken können. Statt dessen eine unendlich lang erscheinende Strecke vor den Augen.

Nach etwa 5 Km die erste Servicestation: Wasser. Einen Becher ergriffen und dann an der Wassertonne meine Sonnenkappe ins kühle Nass getaucht und das Experiment "kühler Kopf" konnte beginnen. Eine neue Erfahrung. Ich wollte meinen Schädel nicht der prallen Sonne aussetzen. Aber einfach nur die Kappe auf den Kopf hätte die Hitzeentwicklung gefördert. Also standen mir etliche Duschen bevor. Nach den Anfangskilometern war mir schon klar, dass dies heute nicht mein Tag sein würde. Die Beine waren aus unerfindlichen Gründen von Anfang an schwer und das hatte noch nichts mit dem Wetter zu tun. Doch jetzt stand ein erster Höhepunkt bevor: das überlaufen der Rheinbrücke. Ein schöner Blick auf den "Vater Rhein", dem man ansah, dass er seit Wochen nach Wasser lechzt. Der ausgetrocknte Uferbereich schreit geradezu nach Regen. Statt dessen gibt es vom Himmel blanke Sonne. Zum Glück gibt es aber auch Streckenbereiche mit Schatten. Sonst wäre es schon sehr früh zu einer Tortur geworden.

Nach 13 Km fühle ich schon Bedarf nach Energiezufuhr. Ungewohnt früh. An der nächsten Wasserstation schlucke ich ein powergel runter und nehme mir vor am nächsten Stand eine Banane aufzunehmen. Doch da ist der Bananenstand leer! Unfassbar! Sicher nur ein momentaner Leerstand, doch was hilfts? Am nächsten Wasserstand also wieder ein powergel runtergewürgt. Der Magen registriert es mit einem Anflug von Säuernis. Jetzt geht es wieder zurück über die Rheinbrücke. Etwa 19 Km sind gelaufen. Die UBahn-Station ist nur 5 Gehminuten entfernt. Wir haben indess einen Umweg von 23 Km vor uns. Dann die Zeiterfassung für den ersten Halbmarathon. Ich liege im Rahmen meiner vorgestellten Zeit, die es rechnerisch ermöglichen würde unter 5 Stunden zu bleiben. Doch ich registriere ungeahnte Schwäche. Hatte ich diese Distanz im Training nicht mehrfach auch deutlich schneller gelaufen? Heute geben die Beine nichts her. Wie lange werde ich überhaupt noch durchlaufen können. Inzwischen komme ich auch zu meinen Bananen. Wiederwilligt stopfe ich sie herunter. Der Körper signalisiert Unwillen. Leichte Übelkeit aus der Magengegend. Auch Getränke vermag ich nicht aufzunehmen. Ich fühle mich wie abgefüllt. Statt dessen gibt es die unvermeidliche Duschen, so etwa alle zweieinhalb Kilometer: Kappe vom Kopf, Kappe aus den bereit gestellten Behältern mit Wasser gefüllt, Kappe auf den Kopf und es läuft. Ein Marathon als Dauerdusche. Steht in dieser extremen Form in keinem Lehrbuch. 28 Km passiert. Ich rechne. Der Weg ist noch weit. Ich werde spürbar langsamer. Immer noch ziehen Staffelläufer vorbei, die sich die Marathonstrecke mit 4 oder 5 Läufern aufteilen. Die sind 20 Minuten nach dem Marathonfeld gestartet. Die ominösen 30 Km sind erreicht. Bis hierher bin ich im Training gelaufen, weiter nicht. Immer wieder stehen Zuschauerkolonnen an der Strecke. Sie feuern einen an. Das hilft für ein kurzes Stück, man sollte es nicht meinen.

Ich erinnere mich: beim letzten Marathon im Herbst hatte mich nach 33 Km ein starkes Gefühl der Zuversicht ergriffen, dass ich das Ziel erreichen werde. Und heute? Nichts von allem dem. "Nur noch 9 Km", murmelt eine Läuferin neben mir. "Plus 0,2 Kilometer", muss ich ergänzen. "Ja, die schaffen wir dann auch noch", bekomme ich zu hören. Eine Optimistin. Längst habe ich mich in die Reihe der Gelegenheitsspaiergänger begeben. Laufen, gehen und wieder laufen, wenigstens bis zu einem bestimmten Punkt im Blickfeld. So kommt man auch weiter. Aber es zieht es in die Länge.

"40 Km! Die restliche 2 schafft ihr auch noch", dröhnt es aus einem Lautsprecher. "Plus 0,2 Km", geistert es durch meinem Kopf. Aber irgendwann bin ich dann doch auf diesen letzten 200 m am Rhein entlang. Die Sonne taucht den Zielbereich in ein gleißendes Licht. Nach unendlich gefühlten Sekunden piept die Zeiterfassung im Ziel. Ein Gefühl freudiger Erleichterung, nach ewigen 5:11 Stunden.

Die Medaille um den Hals schleiche ich durch den Nachzielbereich. Erst jetzt spüre ich diese unerträgliche Hitze. Der Kreislauf meldet sich. Jetzt bloß weiter gehen. Das ist ohnehin angesagt, bis zum Getränkestand. Es gibt Erdinger alkoholfrei, kühl und es schmeckt nach all dem Wasser, welches ich jetzt nicht mehr sehen mag. Ich komme mit dem Läufer neben mir im Gespräch. 73 Jahre alt. Hat schon über 30 Marahonläufe hinter sich. Vor 30 Jahren wäre er um die 3:10 gelaufen. Aber heute die Hitze und es sei ohnehin hart mehr als 5 Stunden zu laufen. Ja, wenn so einer das sagt, dann wird das wohl stimmen. Eines ist sicher. Mit 73 werde ich keinen Marathon mehr laufen. Und 30 Marathonläufe werde ich auch nicht schaffen. Aber der nächste Marathon ist das Ziel. Aber dann bitte wieder etwas schneller und vielleicht muss es dann auch nicht ganz so warm sein?

4 Kommentare:

Marcus hat gesagt…

Lieber Dietmar,

vielen Dank für Deinen spannenden Bericht. Zuerst einmal meinen Respekt für diese grandiose Leistung und herzlichen Glückwunsch zum Erreichen Deines Zieles. Bei den Temperaturen einen Marathon zu absolvieren, erfordert einiges und das wäre nicht meine Welt. Ich habe es einmal mehr bei 14 Kilometer belassen.

Interessant auch die Bemerkung der Läuferin, „nur noch 9 KM“ - das läßt durchaus tief blicken. Wie auch immer, für den nächsten drücke ich Dir die Daumen, daß die Temperaturen in angenehmere Bereiche vordringen werden.

Alles Gute,

Marcus

Running Wiesel hat gesagt…

Danke lieber Marcus, der Wille das Ziel zu erreichen, war am Sonntag das Entscheidende. Auf dieses Ziel ist man über Wochen fokussiert und lässt sich dann nicht so leicht vom Weg abbringen. Anders ist es vielleicht, wenn man sein Augenmerk auf eine bestimmte Zielzeit ausrichtet. Gerät die außer Sichtweite, dann kann es mit der Motivation schwierig werden.
Alles Gute
Dietmar

Marco hat gesagt…

Moin Dietmar,
Sehr schöner Bericht der mich hat mitlaufen lassen.
Glückwunsch zum Finish. Die Zeit st relativ egal meiner Meinung nach, das soll erst einmal jemand nachmachen und sich über fünf Stunden bei so einem Wetter laufend bewegen.

Respekt !!!

LG
Marco

Running Wiesel hat gesagt…

Hallo Marco,
vielen Dank für Deinen Eintrag. In der Tat freue ich mich über das Finish, weil für mich jeder Marathon etwas ganz Besonderes ist. Die Zeit spielt für mich eine untergeordnete Rolle (sonst dürfte ich gar nicht laufen). Ein bisschen schneller darf es aber ruhig sein. Aber bei der Wärme bin ich eingegangen wie eine Priemel. 900 angemeldete Läufer waren nicht im Ziel, bzw. sind erst gar nicht angetreten. Das sagt schon einiges aus.
Viele Grüße
Dietmar