Dienstag, 11. September 2012

Der Blick auf die Uhr

Morgens früh, kurz vor sechs Uhr an der Bushaltestelle. „Ob der Bus wohl pünktlich kommt?“ Je später es wird, desto häufiger blicken die wartenden Fahrgäste nervös auf die Uhr. Ein paar besonders unruhige Geister stellen sich gar an den Straßenrand und halten Ausschau. Mich amüsieren diese Aktivitäten. Sie werden die Ankunft des Busses jedenfalls nicht beschleunigen. Verspätungen sind ärgerlich, besonders am frühen Morgen. Doch unser Ärger wird daran nichts ändern.

Allerdings müsste ich lügen, wenn ich nicht doch auch in gewisser Weise zumindest gelegentlich ein Sklave der Zeit und noch schlimmer der Uhr bin. Heute nach der Arbeit brauche ich dringend einen Lauf. Der Druck im Kessel braucht ein Ventil. Abschalten, umschalten durchatmen und durchpusten. Laufen hilft immer. Es ist tolles Laufwetter. Das Thermometer hat einen gewaltigen Satz nach unten gemacht. Fast 10 Grad kühler ist es gegenüber den Vortagen. Dicke Wolken am Himmel verheißen zusätzlich weitere feuchte Abkühlung. Die ersten dicken Tropfen klatschen mir schon ins Gesicht. Meine Laufuhr habe ich auch angeworfen. Als erstes sucht die immer den Satelliten. Heute aber nicht Statt dessen der erklärende Hinweis „schwache Batterie“. Man könnte auch sagen schlechte Organisation. Habe da wohl was übersehen. Jetzt nochmal nach oben und die alte Stoppuhr zum Einsatz bringen? Dazu habe ich keine Lust. Dumm gelaufen eben. Zunächst läuft ja wenigstens die Stoppuhr. Alle anderen Funktionen reagieren nicht. Na ja, die Länge der heutigen Strecke kenne ich. Und habe ich die Laufdauer, dann lässt sich sogar die Geschwindigkeit errechnen. Alles für die insgesamt doch eher profane Statistik. Es kommt aber wie es kommen muss. Die Batterie gibt den Geist völlig auf. Ich laufe und werde nicht wissen, wie lange ich unterwegs bin. Welch ein Läuferdrama. Mir ist`s egal. Jedenfalls versuche ich mir das einzureden. Ich weiß doch wie lang die Strecke ist und werde dann einfach meine „Durchschnittszeit“ eingeben. Frei nach dem Motto: „Glaube keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast.“

Ich konzentriere mich zwischendurch mal kurz auf`s Laufen. Der Regen hält auch nicht das, was er versprochen hat. Hin und wieder mal ein kurzer Schauer, doch dann verschließen sich die Himmelsschleusen wieder für einige Zeit. Da der Boden noch warm ist herrscht Waschküchenklima. Schweiß tropft aus allen Poren. Ein Eichhörnchen flüchtet auf einen Baum um sofort die mir abgewandte Seite aufzusuchen. Spatzen baden in Pfützen, als hätte sie auf eine solche Gelegenheit schon ewig gewartet.

An Hand meines Atems versuche ich mein Tempo abzuschätzen. Doch wer kann das schon? Doch welche Bedeutung haben ein paar Sekunden mehr oder weniger eigentlich? Was ist das für eine Bewertung „etwas langsamer“ oder „etwas schneller“. Bei dem Gedanken senkt sich mein Blick unwillkürlich auf meine Uhr, die mich aber nur anschweigt. Ich denke an heute Morgen, an das Warten an der Haltestelle.

Ich kenne die Strecke, die ich häufig laufe. An sich kenne ich hier jeden Meter. Aber jeder Lauf ist trotzdem anders. Der heutige sowieso. Gleich sind es nur noch zwei Kilometer. Der Dampf ist jetzt auch aus dem Kessel. Ich fühle mich leichter und beschwingter als vor dem Lauf. Wo ist bloß die Zeit geblieben. Auch ohne laufende Uhr ist sie zerronnen.

Heute genau vor einem Jahr bin ich meinen bis dato letzten Marathon in Münster gelaufen. Das hätte ich vor einem Jahr auch nicht gedacht. Aber das letzte Wort ist ja noch nicht gesprochen.


Sonntag, 9. September 2012

Mit Sonnenenergie und Hingabe


Lange laufen; solange wie noch nie in diesem Jahr. Ich habe es mir vorgenommen. Doch ob es auch klappt?

Ich stapfe hinaus in die Dunkelheit. Der abnehmende Mond und die Venus schimmern durch die sonst vorhandene dichtere Bewölkung. Im Osten zeigt sich ein erster rötlicher Schimmer in den Wolken. Die Farbintensität nimmt in der nächsten halben Stunde dramatisch zu. Ich laufe und schaue dabei wie gebannt zum am Himmel. Rotes, orangenes und gelbes Licht breiten sich aus wie eine Feuersbrunst,. Ich habe eine gute Laufrichtung gewählt. Es geht die ersten 8 Kilometer überwiegend nach Osten. Jetzt habe ich das neue Kohlekraftwerk in Datteln im Blick. Es kann nicht ans Netz gehen. Wehrhafte Bürger haben geklagt. Wenn ich es richtig verfolgt habe wurden im Planfeststellungsverfahren Fehler gemacht. Der Bau hätte womöglich gar nicht genehmigt werden dürfen. Der Betreiber hat schon mehrfach böse Schlappen beim OVG kassiert. Mich tangiert das nicht. Ich will heute Morgen nur Laufen; mache jetzt aber einen kurzen Fotostop- mit unzulänglichen Ergebnissen, die meine Wahrnehmungen nicht ansatzweise wieder zugeben in der Lage sind. Der Morgen bricht endgültig an. Die Wolkendecke wird kompakter und das "Feuer" am Himmel verschwindet wieder.

Inzwischen habe ich die Felder außerhalb meines Stadtteils und sodann das kleine Naturschutgebiet "Becklemer Tal" verlassen. Es geht ein kleines Stück auf dem Radweg Richtung Datteln. Nach 8 Kilometern erreiche ich eine Brücke über den Rhein-Herne-Kanal. Über eine steile Steinbrücke gelange ich auf diese und wechsel so die Kanalseite. Bald schon wieder muss ich den Kanal verlassen; es gibt eine Brückenbaustelle und eine ausgewiesene Umleitung, die durch eine kleine Siedlung führt. In Castrop-Rauxel wechsel ich auf den Emscherweg in Richtung Recklinghausen.

Ich habe heute nur eine sehr difuse Vorstellung über die zu laufende Strecke. Nur dass es viele Kilometer werden sollen ist mir klar. Mit 27 Kilometer hätte ich mein "Soll" für heute erreicht. Nach 13,5 Km einfach umdrehen und wieder zurücklaufen? Dazu habe ich aber keine Lust. Noch ist es auch nicht soweit, da ich soviele Kilometer auch noch nicht zurückgelegt habe.

Ich trage eine o,5-Literflasche Wasser mit mir. Wozu eigentlich? Nach 11 Km endlich zwinge ich mich wenigstens etwas zu trinken. Als ich gestartet bin waren es gerade 8 Grad. Inzwischen ist die Sonne zwar längst aufgegangen; doch sie bleibt bisher überwiegend unsichtbar. Das Schwitzen und der Durst halten sich in Grenzen.

Ein paar Kilometer entlang der Emscher, bis eine Brücke und ein kurzer Weg wieder zum Rhein-Herne-Kanal führen. Emscher und Kanal laufen sozusagen nebeneinander her. Über den Kanal l gibt es zeitweilig etwas Nebel. Ein schönes Bild, ich halte für ein Foto an. Etwas später entdecke ich am Himmel eine kleine Schar Wildgänse in Formation. Zu meiner rechten Seite öffnet sich das Naturschutgebiet "Pöppinghäuser Wald". Ein kleines Sumpfgebiet gehört mit dazu.

Ruhig ist es. Fast könnte ich den Eindruck bekommen ich wäre allein unterwegs.

Zwei Gänse versperren mir den Weg. Es sind stattliche und schöne Tiere. Als ich näher komme machen sie "Platz". Danke schön!

Zwei Stunden bin ich unterwegs. Ich kalkuliere meinen Weg und die noch zu laufenden Kilometer. Ich werde noche eine Schleife laufen und dann entlang der Emscher zurück durch das Naherholungs- und Naturschutzgebiet "Brandheide". Da ich die "Ecke" aus vielen Läufen kenne, kann ich die Entfernungen einigermaßen gut einschätzen.

Inzwischen habe ich gut 20 Kilometer in den Schuhen. Ich bin noch erstaunlich gut dabei. Es läuft einfach und ich habe mein zunächst verhaltenes Tempo ein klein wenig angezogen. So langsam komme ich in eine Art "Lauftunnel". Die Gedanken degenerieren zu Fetzen. Im Vordergrund steht das Laufen. Nicht denken, nur laufen, laufen, laufen. Immer weiter und weiter. Schritt um Schritt. Kilometer um Kilometer. An einer Lager- oder Fabrikhalle ist ein großes rotes Schild angebracht: "Hingabe." Ich beziehe es jetzt auf mich, denn so laufe ich in diesem Augenblick.

Nach etwa 24 zurückgelegten Kilometern kommt mir eine fünfköpfige Laufgruppe entgegen. Wenn ich sie nicht sehen würde, dann würde ich sie jedenfalls hören. Sie scheinen viel Spaß zu haben und führen eine angeregte und nicht ganz leise Unterhaltung. Auch ich habe jetzt viel Spaß; denn ich weiß, dass ich heute mein "Laufziel" erreichen werde. Auch wenn ich die kürzeste aller möglichen Strecken wähle, werde ich mindestens 27 Km absoviert haben.

Und so versinke ich gleich wieder in meinen Lauf. Problemlos, wenn auch mit schwerer werdenden Beinen geht es auf bekannten Wegen heimwärts. Als ich schließlich meinen Ausgangspunkt erreiche, stehen 27,8 Km auf meinem "Tagestacho". Mit dem letzten Rest an Ehrgeiz laufe ich die fehlenden 200 m auch noch, ob es Sinn macht oder nicht ist egal. Auf dem letzten Metern werde ich noch von einem zum Glück angeleinten Hund angekläfft. Die Wirklichkeit hat mich wieder.

28 Km, 3 Km mehr als bei meinem bisher längsten Lauf in diesem Jahr. 3 Km ist ja fast nichts, es sei denn der Anlauf beträgt 25 Km. Wieder einmal war der Weg das Ziel.

Der beschriebene Lauf hat schon vor einer Woche, am 2. September also statt gefunden. So verrinnt die Zeit. Heute waren es ruhige, fast schon erholsame 16 Km. Es hatte sich in der Woche schon angedeutet, dass es nicht soviel wie vor einer Woche sein würde.. Zuviel Unruhe, zuviel Hetze. Doch ich bin trotzdem zufrieden. Nur gar nicht gelaufen zu sein wäre nicht gut gewesen.