Samstag, 21. November 2009

Stunde der Wahrheit

Tage der Selbstzweifel und nur mühsam bekämpfte Gedanken aufgeben zu wollen. Nach den 25 Km von Bottrop vor knapp zwei Wochen setzte mich am letzten Wochenende zunächst eine leichte Grippe außer Gefecht. Nichts wirklich Schlimmes. Aber an Laufen war nicht zu denken. Dann zwei Trainingseinheiten bis Wochenmitte. Immer wieder Beschwerden mit der Beinmuskulatur und Kniebeschwerden. Weiterhin gefühlte Schwäche nach der Grippe. Kampf gegen Müdigkeit und Dunkelheit. Den Siebengebirgslauf abhaken? Vor meinen bisherigen Marathons führte das Training bereits mehrere Wochen vor den Starts zu einer gewissen Zuversicht es schaffen zu können. Statt dessen dieses Mal Hoffnungslosigkeit, Resignation. Dann der Gedanke wenigstens den Halbmarathon mitzumachen. Die Strecke kennenzulernen für nächstes Jahr. Aber hatte ich nicht 23 Euro auf mich gesetzt? Die materielle Sicht ist dabei nicht gemeint. Aber aufgeben, ich, ein Drachenläufer? Manchmal kann Aufgabe vernünftig sein. Vernünftig sein, wer will das schon; jedenfalls nicht immer.
Eine Chance wollte ich mir noch geben. Der lange Lauf in dieser Woche schon am Freitag. 27 Km waren absolute Voraussetzung und Notwendigkeit das Projekt "13. Dezember" weiter am leben halten zu können. Frühlingswetter am 20. November. Temperaturen bei 18 Grad; strahlender Sonnenschein. So dann Mittags überpünktlich Feierabend im Büro und schnellstens ins Wäldchen "Katzenbusch" nach Herten. Meine 1,6 Km lange Runde wartete schon auf mich. Irgend jemand hatte auch den Wald schon gefegt. Während ich vor zwei Tagen noch über einen Laubteppich gerannt war, hatten tüchtige Helfer der Stadt die Wege laubfrei gemacht. Also für mich wäre das nicht notwendig gewesen.
So setzte ich mich dann in kurzer Laufhose (!) und langärmligen T-Shirt in Trab. Langsam, langsam, langsam. Das musste die Devise sein, dass ist lehrbuchmäßig für lange Läufe. Bei einer Marathonzielzeit von 4:30 Stunden können das 7:30 Min./Km sein. Nicht das jemand meint, meine Zielzeit läge bei 4:30. Jedenfalls nicht jetzt, nicht bei dieser Strecke. Da ist das Ziel einfach irgendwie durchkommen. Das Finish wäre der Erfolg. Alles andere spielt nicht den Hauch von Bedeutung. Nachdem ich vor zwei Tagen nach knapp 10 Km wegen Wadenprobleme und Dunkelheit passen musste, war ich noch mehr verunsichert. Von Anfang an spürte ich eine unsichere Spannung. Erstmal 5 Runden (8 Km), dann ein Becher Wasser am Auto (deshalb ist die Strecke auch so sehr geeignet). Es läuft gut bei diesem herrlichen Wetter. Aber vielleicht wären härtere Bedingungen doch besser für eine Vorbereitung zu einem Lauf, der Mitte Dezember statt findet? Mit 7:19 Min./Km habe ich auch ein noch akzeptables Tempo gewählt. Ich habe keine Beschwerden. Aber das ist eigentlich klar. 8 Km dürfen kein Problem sein.
Ich mache mir aber doch einige Sorgen, wie es in gut einer Stunde sein wird. Das es teuflisch hart wird, je länger der Lauf dauert, scheint mir absolut sicher. Die Vorbereitung war nicht so optimal. Gut, ich habe den Drachenlauf mit gemacht, mit einem bösen Muskelkater über einige Tage. Die Laufpause dafür war einkalkuliert. Und das Lauferlebnis unverzichtbar. Zweifellos der schönste Landschaftslauf den ich bisher mitgemacht habe. Mancher Läufer sagt, dass sei der schönst Lauf in NRW. Aber jetzt muss ich Kilometer "fressen". Einen nach den anderen. Sind Läufer unterwegs und viele Spaziergänger mit fast genauso vielen Hunden. Sind aber alle friedlich. Ich laufe in Richtung einer Mutter, die mit ihrem kleinen Mädchen spazieren geht. Der Kinderwagen wird neben her geschoben. Die Kleine hat mich entdeckt, diesen merkwürdigen Menschen in kurzer Hose, der mit schweren Schritten durch den Wald stapft. Ich schicke ihr ein Lächeln zu (geht noch); die kleine lächelt zurück. Nicht nur das. Ein freundliches "Hallo" bekomme ich auch noch geschenkt. Ich bin entzückt. Und die Mutter, die mich erst hört als ich neben den beiden bin ist baff. Hat sie doch nicht mitbekommen, was sich da hinter ihrem Rücken abspielt.
Zwischen durch spekuliere ich schon. Vielleicht schaffe ich ja heute auch die 30 Km? Doch zunächst geht es in Richtung der zweiten 5 Runden. Das wären dann 16 Km. Das ist ja schon ein ganz schönes Stück. Aber es ist gar nichts, wenn ich den Marathon nicht abhaken will. 16 Km sind eine schöne Trainingseinheit für einen Halbmarathon. Aber nichts da. Hatte ich mir nicht gesagt, dass ich heute noch einmal alles versuchen werde? "Ich will den Marathon, ich will den Marathon, ich will den Marathon." Immer wieder hämmere ich mir diesen Satz in den Schädel.
Dann darf ich mir zum zweiten Mal einen Becher Wasser in die Kehle schütten. Diese zweiten 8 Km waren etwas schneller, mit 7:13 Min./Km. Aufpassen, jetzt wird es bestimmt bald härter. Wenigstens machen die Beine bisher klaglos ihren Job.
Wenn ich erstmal 22 Km geschafft habe, dann ist es ein marathonwirksames Training. Aber in dieser Phase der Vorbereitung hoffnungslos zu kurz. Das hieße dann Marathon ade. Halbmarathon. Dabei ist Halbmarathon doch auch was. Aber jetzt, in diesem Augenblick kann ich das nicht gelten lassen. Der Lauf fängt an mich anzustrengen. Ich überlege ob ich die nächst Trinkpause vorverlegen soll. Peile aber zunächst die 20 Km an und laufe weiter und weiter und dann noch eine Runde. 24 Km sind geschafft und ich auch. Zur Belohnung gibt es Wasser. 7:05 Min./Km für den 3. Abschnitt. Wieder schneller. Aber warum bin ich so kaputt? Vor zwei Wochen in Bottrop bin ich die 25 Km in 6:28 Min./Km gelaufen. Das ist lange her. Ich habe noch einen letzten Becher im Auto vorbereitet. Zur Sicherheit oder eben für das Laufende. Es sind noch 3 lange Runden (1,6Km) und dann 2 kleine Runden (je 0,6 Km). Insgesamt 6 Km. Jeder Schritt verkürzt die Strecke. Aber es sind soviele Schritte. 25,6 Km. Noch 2 lange und...
Die "Eintrittskarte zum Marathon", der 30 Km-Lauf ist die Eintrittskarte zu Marathon. Das ist der neue Motivationssatz, den ich mir immer wieder eintrichtern will. Die Reststrecke, immer kürzer wird sie, aber gleichzeitig spüre ich meine Müdigkeit. Die Beine wollen nicht mehr freiwillig. Aber die 27,2 Km sind geschafft. Noche eine große Runde und...
Auf alle Fälle werde ich das jetzt zu Ende laufen. Auch die Magenschmerzen, mit denen ich schon einige Zeit kämpfe, werden das wohl kaum noch verhindern. Jetzt wird gelaufen, solange die Beine es noch mitmachen. Die sind so schwer.
28,8 Km. Noch die beiden kleinen Zusatzrunden. Ich schaue auf die Uhr. Dürfte knapp unter 3:36 bleiben. Was heißt das? Rechnen geht kaum noch. Laufen auch nicht. Aber es nähert sich jetzt doch meiner ganz persönlichen Ziellinie. Die letzten Schritte. Ich recke beide Daumen nach oben. Verrückt, aber das habe ich mir verdient. Genau wie den Becher Wasser und die beiden "Hanuta". Ich will ja keine Schleichwerbung machen. Aber nach 30 Km schmecken die unvergleichlich.
30 Km. Was heißt das? Die Eintrittskarte für den Marathon? So fühle ich mich aber nicht. Nicht einen Hauch davon fühle ich. Ich spüre nur scmerzende Waden. Nächstes Wochenende wieder. Und dann? Keine Zuversicht. Aber ein Fünkchen Hoffnung. Schwer erkämpft.

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