Montag, 4. Mai 2009

Hermannslauf

Vom Hermannsdenkmal bei Detmold bis zur Sparrenburg nach Bielefeld; 31,1 Km lang, 515 m nach oben, 710 m nach unten. Das ist der Hermann. Doch schließlich habe ich im Rahmen meiner Marathonvorbereitung auch fleißig trainiert. Zwei Läufe von 31,8 Km und in der Haard auch etwas Hügel-Lauf. Am Sonntag vor dem Hermann auf 21,6 Km immerhin 360 Höhenmeter rauf und 360 Höhenmeter runter. Ein Hauch vom Hermann (dachte ich jedenfalls).

Vor dem Hermannslauf heißt es früh aufstehen. Zunächst stehen 125 Km an. Allerdings mit dem Auto von Recklinghausen nach Bielefeld. Am Waldhof-Gymnasium die Startunterlagen abholen geht schnell. Dann nach Detmold zum Parkplatz Nähe Freilichtmuseum (jedenfalls wenn man mit Begleitung ist). Von dort mit dem Bustransfer. Die Serpentinen gehen nach oben. Ein Vorgeschmack darauf, dass es rauf und runter geht. Ausstieg in der Nähe des Hermanndenkmals. Etwas orientieren. Es sind drei Einscheckpunkte vorhanden, je nach Zielzeit. Wie das ablaufen wird, erschließt sich mir noch nicht. Noch 1 ½ Stunden bis zum Start. Die Beine in den Bauch stehen möchte keiner. Es gibt reichlich Bänke, aber noch viel mehr Läufer. Die Sonne kommt raus. Für Ostwestfalen sind 24 Grad angekündigt. Läufer sind nicht wählerisch und setzen sich auch auf dem Boden. Das Wetter lässt es zu. Das sitzen wird unbequem. Bevor der Hermann endgültig ruft kommt der obligatorische Toilettengang. Anstehen. Nicht die schönste Art die Zeit rum zu kriegen. Ganz unmittelbar vor meinem Eincheckpunkt finde ich einen freien Platz auf einer Bank. Das nennt man Glück. Neben mir sitzen offensichtlich Hermannslaufveteranen. Rechts neben mir sitzt ein älterer Herr. Der ist zum 36. Mal dabei. Wahnsinn! Ich räume ein, dass ich diese Teilnahmezahl nicht mehr schaffen werde. Es wird zunehmend voller. Die Bank wird von Läufern eingepfercht. Fast ist es mir jetzt peinlich zu sitzen. 10 Minuten vor dem Start erhebe ich mich. Kaum Platz sich zu recken oder zu strecken. Eng wie auf der Südtribüne in Dortmund, wenn 80.000 Zuschauer im Stadion sind. Ich stehe sehr weit vorne. Aber zurück geht jetzt nicht mehr.

Endlich ist es soweit. Wir bewegen uns in Richtung Startpunkt. Es geht eigentlich zügig los, eben weil ich sehr weit vorne stehe. Am Startbogen die Stoppuhr in Gang gesetzt. Es geht zunächst abwärts. Ich habe mir das Höhenprofil vorher angesehen. Nach kurzem Lauf kommt ein Verkehrszeichen: 20 % Gefälle! Holla die Waldfee. Einerseits hilft die Schwerkraft. Andererseits geht das in die Beine. Jedenfalls auf Dauer. Und so steil runter kenne ich es auch nicht. Ich pendle heftig mit den Armen. Obwohl es runter geht, gerate ich schon ins schwitzen. Nach 3 Km gibt es einen ersten leichten Anstieg. Dann wieder sacht runter.

Nach 5 Km ist Schluss mit lustig. Der erste ernsthafte Anstieg. Aber was heißt ernsthaft. Absolutes Neuland für mich. Ich denke an meinen letzten Trainigslauf in der Haard. Von wegen „Hauch von Hermann“. Hermann lacht sich über mich kaputt. Es ist aber nicht nur der Anstieg. Die Bodenbeschaffenheit wechselt ständig. Normaler Waldweg (selten), schmale Pfade, Stock und Stein, tiefer Sandboden. Ich hätte einige Runden im Sandkasten trainieren sollen. Unrhythmisches laufen in der Gruppe kostet zusätzlich Kraft. Ich muss es zugeben, ich schaffe es nicht bis ganz nach oben. Reihe mich in die Geher-Gruppe ein. Waren alles ehemalige Läufer. Ich will mich ja auch nicht kaputt machen. Da ich sehr weit vorne gestartet bin, werde ich in dieser Phase überholt. Nicht gut für die Psyche.

Nach 7 Km oben. Endlich geht es wieder runter. Ich habe Zeit verloren. Aber wenn ich nachrechne, könnte ich wenig über 3:30 Stunden bleiben. Doch mir ist klar, dass das eine Rechnung ohne den Hermann ist. Die ersten 7 Km haben mich gelehrt: das ist kein normaler Lauf. Es geht jetzt ein ganzes Stück ohne größere Anstiege weiter. Aber die Bodenbeschaffenheit ist nervig. Und inzwischen ist es richtig warm geworden. Zum Glück gibt es öfters was zu trinken als ich geglaubt habe. Aber bei der Hitze ist das auch dringend nötig. Es staubt ordentlich und ein reger Pollenflug; wenn der Wind von vorne kommt, halte ich zuweilen eine Hand vor Mund und Nase. Ich habe einen Laufrhythmus gefunden. Doch nach gerade 14 Km fühle ich mich schon richtig geschlaucht und jetzt geht es knüppelhart hoch. Ich nutze die erste Gelegenheit und reihe mich in die große Zahl der Geher ein. Das war mir schon beim Studium des Streckenprofils klar. Da hochlaufen zu wollen hätte mir vorzeitig den Garaus gemacht. Doch wann will ich denn jemals ins Ziel ankommen? Zweifel nagen daran, ob das Ganze hier Sinn macht. Ich bin doch keine Bergziege! Was mache ich hier eigentlich? Was hat mich hier hingetrieben? Ich weiß es nicht mehr. „Hermann ist Kult“! Ja, ich erinnere mich wieder.

Immer noch kalkuliere ich meine Endzeit durch: 3:45 Stunden. Hochgerechnet. Doch ich spüre selbst, dass ich doch beängstigend langsamer werde. Kann man hier auch aussteigen? Und wie geht das bitte schön? Aussteigen? Soweit bin ich noch nicht. Aber viel fehlt wohl auch nicht mehr.

Was ich nicht vermutet hatte, es sind viele Zuschauer an der Strecke. Lassen sich, nachdem das Spitzenfeld lange durch ist, das Spektakel der völlig fertigen Läufer im hinteren Teil des Feldes nicht entgehen. Besonders an der Panzerbrücke bei Kilometer 9,5 stehen die Zuschauer dicht an dicht. Vielleicht ist es ein Bereich, an den man dicht mit dem Pkw heranfahren kann. Das Highlight ist aber viel später der Lauf durch Oelinghausen (oder so ähnlich). Kopfsteinpflaster, abschüssige Strecke und eine super tolle Anfeuerung. Besser ist es weder beim Karstadt-Marathon moch in Berlin. Ich wirklich froh, dass es ein Gefälle ist. Da kann man ganz ordentlich "Gas geben". Hier zu gehen wäre echt peinlich gewesen.

Die Hitze: Je länger der Lauf dauert, desto mehr machen Hitze, Staub und Pollenflug zu schaffen. Die Versorgung mit Getränken ist aber in Ordnung. Doch einige hundert Meter nach der Getränkeaufnahme ist der Mund wieder trocken.

Die Bodenbeschaffenheit: ich habe ja schon oben angedeutet, wie anstrengend das wechselnde Geläuf ist. Doch dazu gibt es noch eine Steigerung: Treppen. Nicht dass es mich überrascht hätte. Schließlich war das auf der Homepage nachzulesen. So ein paar Stufen würde ich schon schaffen, habe ich gedacht. Hustekuchen. Jeder Schritt eine Qual. Keine Kraft mehr in den Beinen. Im letzten Teil des Laufes gab es davon nochmals ein großzügiges Treppenangebot, aber mit der Möglichkeit auf einem schmalen Waldpfad ohne Stufen auszuweichen. "Für Weicheier", wies eine Tafel zu Beginn des Anstiegs die Richtung aus. Sehr freundlicher Motivationsschub. Ich fühlte mich so was von "weicheimäßig", dass ich nicht die geringsten Skrupel habe, auf die Stufen zu verzichten. Am Ende des Treppenanstiegs muss ein Dudelsackspieler die Läufer begrüßt haben. Wenn ich ihn als "Weichei" auch nicht sehen konnte, so habe ich ihn gehört und mich wenigstens darüber ein bisschen gefreut.

Bei Kilometer 22 gab es mal wieder eine größere Zuschaueransammlung. Ein junges Mädchen feuerte uns mit einem Megafon an. "Nur noch 9 Km. Das schafft ihr mit links. Das Schlimmste habt ihr hinter Euch. Das sieht noch gut aus." Fand ich total Klasse, auch wenn ich genau fühlte wie ich wirklich aussah. Einige Kilometer weiter im Wald vier junge Mädels, die zu Abba-Musik tanzen und mit Lautsprecher auch etwas mitsingen. "Wir sind die letzte Attraktion der Strecke", höre ich noch. Jede Ablenkung ist hilfreich und kann für Sekunden die Mattigkeit und die schweren Beine vergessen lassen. Wie gerne hätte ich mich jetzt einfach in die Büsche verkrochen.

Einige Male höre ich Rettungswagen, die wohl liegen gebliebene oder verletzte Läufer abtransportieren. Einmal, in einem für Kraftfahrzeuge unzugänglichen Teil, kommen 2 Sanitäter mit einer Trage entgegen. Nicht für mich. So wollte ich dann auch nicht enden. Jetzt die letzten Kilometer irgendwie zu Ende bringen. Irgendwann sah ich dann die Tafel "nur noch 4 Km". Das setzte sich so von Kilometer für Kilometer fort. Das motiviert dann noch mal, was den Durchhaltewillen angeht. Nur noch 2 Km". Ein Ordner ruft: “Jetzt habt ihr es bald geschafft. Nur noch ein kleiner Anstieg." Der Schreck fährt mir durch die Glieder. Noch mal wieder rauf! Selbstverständlich schaffte ich das auch nur noch gehend, obwohl es nicht wirklich steil und weit hoch geht. Der letzte Kilometer ist anstiegsfrei! Jetzt wieder den richtigen Laufschritt aufsetzten. Man will sich im Ziel ja keine Blöße geben. Die 4 Stunden würde ich nicht unterbieten können. Vielleicht 4:01:00 Stunden? Mir egal. Jetzt der Zieleinlauf. Birgit steht wie verabredet an der Strecke und macht sich rufend und winkend bemerkbar. Immerhin schaffe ich es noch einen Arm zu heben. Die letzten Schritte und die Zeiterfassung piept. Ich stelle meine Stoppuhr ab. Laufe an die Absperrung heran. Stütze mich mit beiden Händen ab. Ein kurzes, etwas gequältes Grinsen. Der Hermann hat mich nicht besiegt. Aber viel hat auch nicht gefehlt. Ich posiere mit Medaille für ein paar Fotos. Trinke im Versorgungsbereich einen Becher Tee esse einige Apfelstücke und noch ein Stück Banane.

Jetzt, wo es vorbei ist, erhole ich mich relativ schnell. Bin natürlich kaputt. Ein Hauch von Erleichterung. Noch keine wirkliche Freude. Dafür fühlte es sich bei einigen Anstiegen zu sehr nach Niederlage an. War es aber nicht. Die Freude stellt sich eigentlich erst einen Tag später ein.

Mit 4:00:27 Stunden sind immer noch mehr als 630 Läufer hinter mir, auch wenn es darauf nicht ankommt. Ich habe eine echte Grenzerfahrung überstanden, wieder eine Menge gelernt, übers Laufen und über mich selbst. Vor dem Lauf hatte ich mir zum Ziel genommen lachend durch die Zeitaufnahme zu laufen. Das habe ich wohl nicht ganz geschafft. Weiteres Ziel war, nach 2 lauffreien Tagen wieder trainieren zu können. Es sind dann drei freie Tage geworden. Ich spürte auch am Mittwoch noch ein ziehen im linken Oberschenkel und wollte keine Verletzung riskieren. Seit Donnerstag laufe ich wieder und es war auch höchste Zeit. Am 17. Mai findet der Karstadt-Marathon. Am Montag, ein Tag nach dem Hermannslauf, kam. wie als Drohung die Teilnahmebescheinigung für den Marathon. Das nennt man Timing.

Die Woche nach dem Hermann habe ich am Sonntag mit einem 35 Km-Lauf abgeschlossen. Habe den Hermannslauf also gut verkraftet. Die heiße Phase der Marathonvorbereitung ist geschafft. Jetzt heißt es den Laufumfang etwas zu verringern und sich ein wenig erholen.

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