Mittwoch, 10. Oktober 2012

Halbmarathon um den Phoenixsee

 

Wer den Phoenix-See nicht kennt weist damit keine Bildungslücke auf. Dieses erst künstlich angelegte Gewässer liegt im Dortmunder Stadtteil Hörde auf einem zu Gelände, welches früher Bestandteil eines riesigen Stahlwerks war. Dieses Werk ist auch Namensgeber für den See. Die zweckbauliche Gestaltung als Regenwasserrückhaltebecken mit Zu-, Über- und Abläufen schützt flussabwärts liegende Wohn- und Gewerbebebauung am Ufer der Emscher vor Hochwasser. Bei Bedarf kann der See zusätzlich bis zu 360 000 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen.Die Informationen habe ich aus dem Internet. Bekannt geworden ist mir das Projekt vor einem Jahr durch umfangreiche Presseberichte mit dem Tenor, dass es sich um eine tolle landschaftliche Umgestaltung und ein sehr attraktives Baugebiet handeln würde. Neugierig geworden habe ich das landschaftsarchitektonische Bauwerk besucht und war doch etwas enttäuscht. Nach dem Marketinggeschrei konnte man fast den Eindruck gewinnen als würde hier dem Starnberger See Konkurrenz gemacht.  Nichts für ungut, aber im Kern geht es um Immobilienvermarktung. Ich finde die Wiederherstellung eine ehemals industriell genutzten Fläche im Prinzip  positiv; allerdings ist auch kein Wunderwerk entstanden.

Der See ist lediglich 1.200 m lang und maximal 310 m breit. Und so war ich doch einigermaßen überrascht, als ich vor einigen Wochen von dem geplanten Halbmarathon las. Allerdings sollte der Streckenverlauf doch weit außerhalb des Sees führen, unter anderem an industiekulturell interessanten Hoesch-Komplex vorbei, welches man zum Beispiel auch vom Dach des Westfalenstadions aus sehen kann. Da ich ohnehin noch einen Testlauf auf HM-Distanze durchführen wollte, habe ich mich kurzfristig angemeldet. Lauftag war der Tag der Deutschen Einheit. Einen Tag vorher nutzte ich die Gelegenheit um meine Startnummer abzuholen. Als ich die vielen Baukräne und die im Bau befindlichen Gebäude entdecke bin ich doch ziemlich geschockt. Ob der Unterschied von einer Industriebrache zu einer Bauwüste so gravierend ist? Doch die Stadtfürsten sehen das immer mit anderen Augen, nicht nur in Dortmund ist das so. Ein dicker Regenguss, der auf die Warteschlange vor dem Organisationszelt niederprasselte, sorgte dafür, dass ich mich innerlich nicht weiter ereiferte.

Von der Vortour nach Dortmund nach fast zweistündiger Fahrt mit dem Nahverkehr zurück zu Hause. Vorbereitungen für den nächsten Tag und früh ins Bett. Denn wer an einem Feiertag von einem Stadtteil in Recklinghausen in einen Außenbezirk von Dortmund will, braucht viel Zeit und Geduld. Man bekommt zum Ausgleich um sieben Uhr Morgens am Hauptbahnhof die Überrreste des Nachtlebens zu Gesicht. Ein Highlight war sicher die Frage eines doch sehr abgestürzten Individuums, ob es jetzt Morgens oder Abends ist.   Ich bin mir sehr sicher, dass die Frage kein Fake war.

Endlich Ankunft am Phoenix-See. Die zunächst noch starke Bewölkung lockert sich entgegen den Wetterprognosen auf. Ein herrlicher herbstlicher Vormittag kündigt sich an. Am See ist es schon rappelvoll. Zunächst starten Schülerläufe. Wie ich später höre, hat allein ein Gymnasium immerhin 300 Schülerinnen und Schüler aktiviert.   Wenn sich daraus wenigstens für einen Teil längerfristige sportliche Aktivitäten ergeben, dann war es jedenfalls schon deshalb eine lohnende Veranstaltung gewesen.

Ich schaue mir das Start und Zielgelände an, und habe noch genügend Zeit zum Einlaufen. Knapp zehn Minuten vor dem Start bin ich wieder zurück. Doch der Startbereich ist leer. Ich bin nicht der einzige Läufer der ratlos umherirrt. Ein Helfer sorgt für Aufklärung. Der Start für den Halbmarathon liegt direkt am See. Also die Beine in die Hände genommen, denn es sind doch einige hundert Meter bis zum Startbogen. Das Mißverständnis ist teils selbstverschuldet. Im Internet gab es entsprechende Hinweise, die aber vor Ort dann fehlten, beziehungsweise irreführend waren. Ich erreiche den richtigen Startbogen noch gerade rechtzeitig und bin jetzt zumindest richtig warm gelaufen.

Der Start findet zunächst aber nicht statt. Die Lautsprecherdurchsagen kommen am hinteren Teil des Feldes nicht an. Aber offensichlich sind noch nicht alle Schüler im Ziel und die Laufsrecken würden sich kreuzen. Nach 15 Minuten Wartezeit gibt es Unruhe im Feld. Geht es vorne los? Nein, zunächst nicht. Dafür ist aber der Startbogen umgefallen. Sehen kann ich nichts. Doch die Mundpropaganda von ganz vorne bis ganz hinten im Feld funktioniert, wenn auch mit zeitlicher Verögerung.

20 Minuten Verspätung und es geht dann tatsächlich doch noch los. Zum Glück ist es in der Sonne angenehm warm. Die Warterei war da nicht so schlimm.

Es darf gelaufen werden. Die Sonne stralt vom tiefblauen Herbsthimmel, als ich die Startlinie überquere. An Streckenrand sorgen hunderte von Zuschauern für eine stimmungsvolle Kulisse. Nicht wenige Läufer stehen darauf. Ich brauche das eigentlich nicht.

Es geht zunächst zwei Runden m den See. Ich genieße die klare Luft und die "Seekulisse". Mit guter Laune finde ich es heute deutlich schöner als im Regen am Vorabend. Es ist erstaunlich, dass der circa 4 Meter breite Weg die Läufermassen offensichtlich problemlos bewältigt.  Es müssen knapp 2.000 Läufer am Start sein. Ob es in der Mitte des Feldes auch so komfortabel zu laufen ist wie weiter hinten? Zwei "Seerunden" reichen mir dann doch und ich bin froh als es "raus ins Gelände" geht. Ganz klar ist mir nicht was mich erwartet. Schlimmstenfalls Passagen durch monotone Siedlungen? So bin ich dann doch überrascht, das es gleich durch einen schmalen Waldstreifen geht. Auf der rechten Seite verläuft etwas unterhalb des Laufweges ein renaturierter Bachlauf. Immerhin! Die Industrie zieht sich gezwungener Maßen zurück, weil sie den globalen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Und von Menschenhand unterstützt wird der Natur neuer Raum gegeben. Jedenfalls ist das die Idee.

Inzwischen bin ich bald 10 Km unterwegs. Meine läuferischen Ansprüche sind bescheiden geworden. Ich erwarte nahezu nichts. Das resultiert sich aus meinen Trainingserfahrungen die sich bestätigen. Noch bin ich aber etwas "schneller" als geplant. Das ist die Wirkung wenn man im "Rudel" läuft.  So langsam geht es raus aus der grünen Oase in den sogenannten Phoenix-Park und damit auch sichtbar ins früher industriell.genutzte Gelände. Reste einer typischen Ruhrgebietskulisse. So wie man es sich vorstellt. Es ist spannend und mit Erinnerungen verbunden hier zu laufen. Vergangenheit, eine Art Freilichtmuseum.  Jetzt bedaure ich es keinen Fotoapparat dabei zu haben. Aber vielleicht kann man hier später mal einen Sonntagsspaziergang unternehmen.

Die Wolkendecke und der Wind haben zugenommen. Auf offenem Gelände werde ich ordentlich durchgeschüttelt. Außerdem werde ich von einer "Banane" und einem "Affen" überholt. Als ob de Teilnahme  an so einem Massenevent nicht schon verrückt genug wären. Mit solchen Verkleidungen möchte ich nicht herumlaufen. Aber die Jungs scheinen ihren Spaß zu haben. Die Hälfte der Strecke ist längst passiert. Da entdecke ich schräg vor mir die riesigen gelben Pilonen des Westfalenstadion. Mein Stadion in dem ich seit vielen Jahren bei jedem Heimspiel stehe! Ich bin begeistert. Für mich steht jetzt aber schon fest, dass sich dieser Lauf gelohnt hat.

Es geht durch die Halle einer BMW-Niederlassung. Der Sponsor hat sich nicht lumpen lassen und eine Band engagiert, deren Musik mich für ein kurzes Stück begleitet. Nach etwa 17 Km habe ich mein "Pulver verschossen" und ich werde unfreiwillig langsamer. Da ich dieses Gefühl aus vielen Laufveranstaltung kenne und mit dieser Situation gerechnet habe tue ich das, was notwendig ist: ich laufe weiter. Es gibt jetzt einen Anstieg, nicht übermäßig lang und steil, aber ich verliere meinen Laufrhythmus. Macht nichts, denn es ist nur ein kurzer "Berg". Wir nähern uns wieder dem See. Huch, ist das windig   geworden! Am See angelangt fällt dem müden Läufer dann auf, dass er diesen dann noch einmal fast vollständig umrunden muss. Ein kleiner See, aber 3 Kilometer können ja so lang sein. Den See finde ich jetzt nicht mehr sonderlich spannend. Ich möchte nur noch anständig das Ziel erreichen. Von weitem ist der Zielbogen sichtbar. Ein Sambagruppe sorgt nochmals für "Motivation". Jetzt noch einmal "gut aussehen". Und tatsächlich reicht es auf den letzten dreihundert Metern für einen Schlußspurt. Im Ziel ist es dann wie immer doch am schönsten.

 Ich weiß es nicht, was tausende von Läufern und auch mich immer wieder zu solchen Veranstaltungen hinzieht. Allein, wenn man den Zeitaufwand für Hin- und Rückfahrt bedenkt... Aber mit Logik darf man Läufern nicht kommen. Und die Streckenführung hat meine Erwartungen diesesmal doch deutlich übertroffen. Es war ein Testlauf mit einem 30 Km-Lauf einige Tage zuvor in den Beinen. Der Test hat das bestätigt, was ich vorher schon wußte. Einen Marathon habe ichderzeit nicht in den Beinen. Keine Enttäuschung, nur Gewissheit. ber ich bin ja noch jung. :-) Im nächsten Jahr gibt es einen neuen Anlauf.Bis dahin wird fleißig weiter gelaufen, so weit die Füße tragen.







2 Kommentare:

Marcus hat gesagt…

Lieber Dietmar,

vielen Dank für den Laufbericht, der durchaus lehrreich war. So habe ich wieder dazu gelernt und kenne nun den Phönix-See.

Partiell schien das Ereignis von lustiger Natur zu sein, ein verwirrtes Läuferfeld, ein umgefallener Startbogen – wobei derlei sicherlich nicht geplant war. Die Idee, Industrie gegen Natur zu tauschen, ist grandios und wenn man mit solchen Laufveranstaltungen, die Menschen dafür interessieren respektive sensibilisieren kann, so ist das eine großartige Geschichte. Und Dir selbst hat es auch gefallen, also ein rundum gelungener Lauf.

Liebe Grüße

Marcus

P.S. Der Affe war nur hinter der Banane her, die nun flüchten mußte und durch Zufall auf die Läufer traf. ;)

Running Wiesel hat gesagt…

Danke lieber Marcus. Wenn man es mit offenen Augen angeht und sich nicht an Kilometertafeln und Stopuhr orientiert, dann kann man selbst aus solchen Läufen noch einen beschränkten Erkenntnisgewinn erzielen. Renaturierung von Industriebrachen wird leider nur sehr beschränkt betrieben. Trotz zurückgehender Industrie, trotz Bevölkerungs-rückgang, trotz schöner Sonntagsreden ist der Freiflächenverbrauch hier weiter beängstigend. Aber da sag ich Dir ja nichts Neues. Unterm Strich kann ich gut verstehen, dass Du derartige Massenveranstaltungen ablehnend gegenüber stehst. Für mich sind es ja auch nur sporadische Ausflüge, die ich dann aber auch ganz gerne unternehme.

Liebe Grüße
Dietmar